Die
Kritikphobie der Hardcore-Religiösen
Ein Artikel aus der ZEIT-ONLINE
von Michael Schmidt-Salomon
Respekt vor religiösen
Gefühlen!, heißt es allenthalben. Michael Schmidt-Salomon hält es für falsch,
auf die Befindlichkeiten von Gläubigen groß Rücksicht zu nehmen.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese so freundlich
wirkende Haltung diametral gegen die Streitkultur der Aufklärung verstößt, auf
der der moderne Rechtsstaat gründet. "Mehr
Respekt bitte!" ist ein Totschlagargument, das
jede vernünftige Debatte zum Erliegen bringt.
"Respekt" (von lateinisch "respectus": Zurückschauen,
Rücksicht) bezeichnet eine Form der Achtung und Ehrerbietung gegenüber einer
anderen Person, ihren Handlungen oder Überzeugungen. Keine Frage: Für
aufgeklärte Zeitgenossen ist es eine pure Selbstverständlichkeit, Menschen als
Menschen wertzuschätzen. Doch gilt dies auch für alle Überzeugungen, die
Menschen an den Tag legen? Ganz gewiss nicht.
Wie etwa könnten wir aus einer aufklärerischen Perspektive heraus
Glaubensüberzeugungen respektieren, die noch immer – im 21. Jahrhundert! –
gegen Schwule und Ehebrecherinnen agitieren?
Nein, hinter solchem Respekt verbirgt sich meist bloß Ignoranz
beziehungsweise Feigheit, die sprichwörtlich geworden ist: Der Klügere gibt
nach – was der Dummheit schon häufig zum Sieg verholfen hat.
Respekt für
Respektlose?
Die Absurdität der gegenwärtigen Debatte zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Respekt ausgerechnet jenen gegenüber
eingefordert wird, die hinlänglich bewiesen haben, dass ihnen jeder Respekt
gegenüber Andersdenkenden fehlt. Verwunderlich ist dieses Defizit nicht, wenn
man die Heiligen Schriften kennt. So erwartet "die Ungläubigen" laut
Koran nicht bloß das "ewige Feuer", sie werden in der
"Hölle" mit "Eiterfluss" und "Jauche" getränkt
(Suren 14,16 und 78,25), erhalten einen "Trunk aus siedendem Wasser"
(Sure 6,70), der ihnen die "Eingeweide zerreißt" (Sure 47,15), werden
mit "eisernen Keulen" geschlagen (Sure 22,21), müssen Kleidungsstücke
aus flüssigem Kupfer und Teer tragen (Sure 22,19) und vieles andere mehr. Immer
wieder wird im Koran betont, wie sehr Allah "die Ungläubigen" hasst –
sie gelten ihm gar als die "schlimmsten Tiere" (Sure 8,55) – und dass
es für den gläubigen Muslim eine heilige Pflicht sei, den Zorn Gottes an ihnen
zu vollstrecken (Suren 8,15-16). Eine gute Grundlage für den respektvollen
Umgang mit Andersdenkenden ist dies sicherlich nicht.
Mit Mitgefühl oder gar Respekt dürfen "die Feinde Gottes" aber
auch in der Bibel nicht rechnen. Denn es steht geschrieben: "Du wirst alle
Völker verzehren, die der Herr, dein Gott, für dich bestimmt. Du sollst in dir
kein Mitleid mit ihnen aufsteigen lassen" (Deuteronomium, 7,16-17). Auch
im Neuen Testament wird die Bestrafung "der Bösen" immer wieder in
schillerndsten Farben ausgemalt. So verkündet das Matthäus-Evangelium, dass der
"Menschensohn seine Engel aussenden" wird, die diejenigen, die
"Gottes Gesetz übertreten haben, (…) in den Ofen werfen, in dem das Feuer
brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen" (Mt.
13,41-43). Nicht besser kommen die Fehl- und Nichtgläubigen bei Paulus weg:
Die, die sich weigern, (den christlichen) Gott anzuerkennen, sind, so der
Apostel, "voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll
Neid, Mord, Streit, List und Tücke, (…) sind überheblich, hochmütig und
prahlerisch, erfinderisch im Bösen (…) Wer so handelt, verdient den Tod" (Römer
1,28-32).
Führt man sich vor Augen, wie vehement "Ungläubige" in den
Grundlagenschriften der Religionen verunglimpft
werden, wirken sämtliche Religionssatiren, die in den vergangenen
Jahrzehnten veröffentlicht wurden, wie harmlose Späßchen. Bei Licht betrachtet
hätten religionsfreie Menschen also weit triftigere Gründe, sich in ihren
weltanschaulichen Gefühlen verletzt zu sehen. Offenkundig jedoch sind ihre
weltanschaulichen Empfindungen weit weniger verletzungsanfällig als religiöse
Gefühle. Sollte man also Rücksicht auf die besondere Befindlichkeit der
Gläubigen nehmen? Keineswegs, denn das würde das Krankheitsbild nur noch
verschlimmern.
Es ist wie bei einer Spinnenphobie: Wer unter der wahnhaften Angst leidet,
beim Anblick einer Spinne sterben zu müssen, kann seine Angst nur dadurch
überwinden, dass er mit dem Auslöser seiner Angst konfrontiert wird. Ähnlich
ist es bei der Kritikphobie der Hardcore-Religiösen, auch hier hilft im Grunde
nur systematische Desensibilisierung: Wir sollten sie daher mit so viel Kritik
und Satire versorgen, bis sie irgendwann von selbst erkennen, wie irrsinnig es
ist, wegen einer harmlosen Zeichnung in die Luft zu gehen oder schlimmer noch:
andere in die Luft zu sprengen.
Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips
Die Ideologie des falschen Respekts ist, wie ich meine, gleich in
mehrfacher Hinsicht schädlich: Erstens verstärkt sie die religiöse Kritikphobie
durch das Ausblenden des aversiven Reizes. Zweitens ermutigt sie Fanatiker
dazu, noch heftiger zu protestieren, um künftig jede Form von
Religionskritik zu unterbinden. Drittens stellt sie
weltanschauliche Borniertheit unter "Denk-mal-Schutz", indem sie den
Fundamentalisten das "Geschenk der Kritik" vorenthält. Viertens ist
sie paradoxerweise besonders respektlos gegenüber den Gläubigen, weil sie diese
wie kleine Kinder behandelt, denen man bestimmte Dinge nicht zumuten darf.
Fünftens führt sie zu einer Überbetonung der Interessen jener Personenkreise,
die in ihrem Denken und Handeln noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind.
Sechstens verführt sie Politiker dazu, das Täter-Opfer-Prinzip umzudrehen,
indem sie die Schuld für die Störung des öffentlichen Friedens den betroffenen
Künstlern zuweisen – statt den Fanatikern, die nicht angemessen auf Kritik
reagieren können. Siebtens hat die Ideologie des falschen Respekts eine
Aushöhlung der Meinungs-, Presse-, Kunst- und Forschungsfreiheit zur Folge. Und
achtens ist sie mit dem Verrat der Prinzipien der Streitkultur der Aufklärung
verbunden, die ja gerade deshalb so produktiv ist, weil sie Debatten fördert,
in denen tradierte Sichtweisen schamlos verletzt werden können.
Hüten wir uns also vor der Ideologie des falschen Respekts! Nicht
auszudenken, wo wir heute stünden, wenn die Aufklärer der Vergangenheit größere
Rücksicht auf religiöse Gefühle genommen hätten: Womöglich würden in Europa
noch immer die Scheiterhaufen brennen…