sábado, 26 de octubre de 2013

Hawaii Ironman

Eigentlich beginnt diese Geschichte vor mehr als zehn Jahren. Aber ich will mich ganz kurz fassen und lasse neun der zehn Jahre aus.
Ein Triathlet, das ist jemand, der schwimmt, radelt und läuft und das mit Hingabe, Tempo und wenn möglich an Wettkämpfen, wird sich am Anfang seiner Laufbahn mit der Geschwindigkeit und später mit der Distanz steigern wollen und die längste dieser Distanzen, ist der Ironman.
Ich bin Triathlet und ich habe mich gesteigert und bin beim Ironman gelandet. Also beim Wettkampf über 3,8km schwimmen, 180km radeln und 42,2km laufen.
Jetzt ist es nicht so, dass danach keine Steigerung mehr möglich wäre. Abgesehen von einer Handvoll kurioser Wettbewerbe über alle möglichen Distanzen, mit unterschiedlichen Disziplinen, gibt es ein eigentliches Ziel, den Olymp des Triathlons, das Höchste, was bei diesem Ironman möglich ist; die Worldchamionship, den Hawaii-Ironman, vergleichbar mit Wimbelton im Tennis, oder Monaco bei der Formel Eins. Um dort auf Kona in Hawaii anzukommen, muss man sich qualifizieren. Das heisst, an einem der etwas über zwanzig offiziellen Ironman Wettkämpfe weltweit, einen Slot gewinnen. In den sogenannten Altersklassen, die jeweils innerhalb von fünf Jahren, also 25-29, 30-34, 35-39, u.s.w. angelegt sind, werden je nach Teinehmerzahl eine bestimmte Anzahl Plätze verteilt. In meiner Altersklasse ist das jeweils ein Slot für die Gruppe, was schlicht und ergreifend bedeutet, ich müsste, um mich zu qualifizieren, meine Altersgenossen besiegen. Allerdings ist da noch ein kleiner Hoffnungsschimmer. Hat der Erstplatzierte keine Lust, keine Zeit, oder kein Geld um nach Hawaii zu gehen, rückt der Nächstplatzierte nach.
Mit der Erfahrung von sechs dieser langen Wettkämpfe, habe ich mich in Nizza  für den Ironman 2013, mit der Absicht mich zu qualifizieren, angemeldet. Schon ganz am Anfang des Jahres habe ich mit der Vorbereitung für den grossen Tag am 23.Juni, angefangen. Es lief wie am Schnürchen. Im Januar hatte ich mich für den Halbmarathon in Sta.Pola angemeldet, so als Status Quo-Abfrage. Ich habe mich gegen alle 20 Mitstreiter  meiner Altersklasse durchgesetzt und bin mit einer passablen Zeit von 1:41h in´s Ziel gelaufen.
Im Frühjahr, am Halb-Ironman in Elche, liess ich mich noch einmal als Sieger feiern, und kam auch dort mit einer persönlichen Bestzeit ins Ziel. Die Lichter für die „Quali“ in Nizza, standen also auf Grün.
Die lange Autofahrt von Aguilas nach Nizza war vielleicht ein wenig anstrengend, so kurz vor dem Ironman, aber ich habe mich so gut gefühlt, dass ich diese und alle anderen Bedenken getrost, zerstreuen konnte.
Die Startaufstellung  am Strand bei der Promenade des Anglais, war genial. In der Mitte des Pulkes der über 2000 Teilnehmer sollten sich die Superschnellen und nach beiden Seiten hin absteigend, die immer Langsameren aufstellen. Ich stellte mich in die zweitäusserste Gruppe, bei den Schwimmern, die sich eine Schwimmzeit von 1:20h vorgenommen hatten, auf. Dann ertönte der Startschuss,  mit ihm verflog das Flattergefühl meines Nervenkostüms und ich stürzte mich mit gutem Gefühl in die sanften  Wogen des Mittelmeeres. Es ist schon jedes Mal ein Bild für die Götter, wenn hinter zweitausend wildentschlossenen Triathleten, das Wasser brodelnd und spritzend nach allen Seiten schiesst und die darin strampelnde Menge, wie Robben in kochendem Wasser, mit aller Kraft um sich herum schlägt. Mehr als einmal habe ich diese wilde Entschlossenheit auf mich herunterprasselnd zu spüren bekommen. Aber es lief rund und ich kam voran. Gegen Ende der ersten von insgesamt zwei Runden, hatte ich mich aus dem fürchterlichen Hauen und Stechen befreit und konnte ab dort in einem guten und gleichmässigen Rhythmus das Schwimmen zu Ende bringen.
Der Weg vom Schwimmausstieg zu den parkierten Rädern war extrem lang. Zeit genug den Neoprenanzug bis zur Hälfte abzustreifen. Mit wenigen, immer wieder eingeübten Handgriffen, verwandelte ich mich vom Schwimmer zum Rennradler.
Der Aufstieg aufs Rad verlief nicht sehr rund. Erst verhedderte sich das Pedal, samt dem darauf fixierten Radschuh, in der Absperrung um den Velopark, dann fiel die Kette vom Kettenblatt und als ich mit geübtem Griff das Ding wieder an seinen Platz bringen wollte, verklemmte sich die Kette zwischen Rahmen und Blatt und ich musste mir meine Finger ganz schön mit Kettenöl verschmieren.
Dann ging´s immer schön und schnell geradeaus. Bis 20km. Dort, kurz vor dem heftigen Anstieg, kam die erste Verpflegunsstelle. Und dort ist es passiert. Ich wollte mit der Vorderbremse die hintere nur leicht unterstützen, tippte sie also an, das Ding verklemmte sich irgendwie, blockierte,  Rad und Radler rutschen weg und legten sich unsanft übereinander. Ich wurde von schnellen Helfern vom Boden gehoben, was sich für mich wie ein Einsammeln aller Glieder anfühlte und konnte nur mit Mühe das Beordern eines Rettungswagens verhindern. Ein Vierschrötiger bog mein Fahrrad zurecht und weiter ging die Reise.
Dieser eben genannte, erste, heftige Anstieg wurde zur Tortur. Nicht weil er so steil war. Bei jedem Tritt, wachte das leicht surrende Taubheitsgefühl in meinem linken Knie, mehr auf und verwandelte sich in einen stechenden Schmerz. Eigentlich habe ich mich schon wieder verbabbelt, bin bei der Vorbereitung hängen geblieben. Um es kurz zu machen; ich habe mich, mit einer zweitklassigen Zeit und einem heftig schmerzenden, immer stärker anschwellenden Knie ins Ziel gequält.
Ich würde ja nicht über meinen Hawaii-Ironman berichten, wenn die Geschichte hier zu Ende wäre. Die Geschichte ging also weiter. Mit dem Kopenhagener Ironman. Kurz nach dem Nizza-Ironman wurde der Kopenhagener von einem Challenge, also einem Wettkampf, der keine Hawaii-Slots vergibt, in einen Qualifikationslauf umgewandelt. Es gab noch Plätze und also war ich angemeldet und sechs Wochen später stand ich am Schwimmstart am Amager-Strand in Kopenhagen.
Alles lief einigermassen gut. Ich kam als erster unserer Gruppe aus dem Wasser, als Letzter vom Rad, legte einen ganz passablen Marathon hin und wurde Zweiter. Da mir der Erste aus der Gruppe schon vor dem Rennen versichert hatte, dass er nicht nach Hawaii wolle, sollte dem Slot Nichts mehr im Wege stehen.
Doch manchmal kommt es eben anders als man denkt. Gleich bei der Ziellinie stand eine Riesenvideowand auf der, unter anderem, die Zeit der jeweils einlaufenden Athleten angezeigt wurde. Meine nicht. Im Internet wurden die jeweiligen Abschnitte jedes Triathleten, mit Angabe seiner Zeit, und schliesslich auch die Endzeit, aufgeführt. Bei mir fehlte die Hälfte des Marathons und an Stelle einer Endzeit stand da ein DNF, (did not finish).
Am andern Morgen, noch vor der Slotverteilung, stand ich vor der Halle, in der der Event stattfinden sollte und hielt Ausschau nach den zuständigen Leuten. Der langen Rede kurzer Sinn;  ich konnte, auf Grund von Fotos, beweisen, dass ich die gesamte Strecke gelaufen war und meine Endzeit auf einem offiziellen Foto auch belegen. Ich nahm also Teil an der Verteilung der Hawaii-Starplätze. Nur tauchte auf einmal der Sieger unserer Altersklasse auf und nuschelte etwas von Hawaii, Startplatz und er wisse halt nicht… Es war weder sein schlechtes Englisch, noch mein ramponiertes Auffassungsvermögen. Er wollte wohl gar nicht verstanden werden.
Dann bei der Verteilung. Jeder Einzelne wird aufgerufen und wenn sich beim dritten Aufruf keiner meldet, geht der Slot an den Nächsten. Mein Mitstreiter stellte sich ganz vorne bei der Bühne auf und wartete, ähnlich einer Springspinne, um jeden Moment  nach vorne schiessen zu können. Als er aufgerufen wurde stellte er sich auf und verkündete, und diesmal laut und verständlich, dass er der eigentliche Sieger sei, aber auf seinen Anspruch verzichte, und somit ein Anderer an seiner Stelle der Glückliche sei. Die Ehre war ihm zu gönnen und ich konnte, schneller als beim Marathon am Tage zuvor, laufen und in zwei kräftigen Sätzen über die Treppe zur Bühne fliege um jubelnd meinen Slot entgegenzunehmen.
Hawaii ist für jeden Reisenden ein Paradies. Für einen Triathleten ist es weit mehr; der Olymp, das Ziel aller Träume, eine Art Auszeichnung. Es ist schon ein Ding Ironman-Finisher zu sein. In Kona, auf der Big Island Hawaii, ruft der Speaker auf der Ziellinie jedem Finisher zu: „You are an Ironman“ und das ist eine Taufe, die berechtigt ein Leben lang damit anzugeben.
Am 12.Oktober 2013 um 6:30Uhr stand ich, mit etwas mehr als zweitausend Athleten, in der kleinen Bucht von Kona. Der Kanonenböller, der den Start der Profis bedeutete war bereits abgefeuert worden und wir schwammen langsam die zweihundert Meter zum Schwimmstart. Der pazifische Ozean schaukelte die Teilnehmer sanft auf und ab. Die Anspannung vor dem Start vibrierte durchs Wasser, nur die Unmenge tropischer Fisch unter uns, blieb vom Treiben über ihnen unberührt. Es war das 35gste Mal, dass sie dieses Spektakel miterleben durften. Die Pro-Frauen sind beim zweiten Kanonenböller losgeschossen und ich versuchte mir immer wieder einzureden, dass es absolut keinen Grund zur Nervosität gebe. Ich wollte finishen. Egal in welcher Zeit. Einfach noch vor Mitternacht ins Ziel laufen und das sollte doch wohl möglich sein.
Als zum dritten Mal ein Rauchwölkchen hinter einem sonoren Knall über die Bucht von Kona wanderte, begann das Spektakel endlich auch für uns. Ich hielt mich hinten, fern der Front, wo die Kriegen bekanntlich länger leben auf und fand mich folglich in einer Gruppe Gleichgesinnter, die wohl alle mit ähnlichen Schwimmerqualitäten, wie ich , gesegnet waren und das bedeutete wiederum, dass keiner so ganz von Schlägen ausgenommen wurde. Es ging. Nur richtig vorwärts kam ich nicht. Ich habe im Wasser kein Zeitgefühl, höchstens eine dumpfe Ahnung, wie´s so läuft und die sagte mir da, dass es eben nicht so lief. Die Wendemarke, ein Segelschiff, wollte einfach nicht kommen und als endlich ein Segelmast hinter den azurblauen Wellen des Pazifiks auftauchte, war es immer noch nicht das ersehnte, sondern irgendein anderes. Gut irgendwann kam die Wende, und ich wollte nicht auch noch Zeit verlieren meinen Arm mit der Uhr in die Höhe zu strecken nur um zu sehen, dass ich spät dran war. Zudem eröffnete man uns an der Wettkampfbesprechung, dass die Strömung in der ersten Hälfte zu unseren Gunsten verläuft, und erst auf dem Heimweg, so richtig eklig entgegen kommt. Gegen Ende der Schwimmstrecke gurgelte ich zu einem Begleitkanu herüber, ob ich denn überhaupt in der Zeit bliebe.  Nach 2:20h ist nämlich Schluss und der zu Späte, wird aus dem Rennen genommen. „Only three hundret meters left and you have still half an hour“ kam die beruhigende Botschaft zurück. Mit einer Stunde und sechsundfünfzig Minuten, habe ich dann die längste Zeit meiner jungen Triathlonkarriere geschafft.
In der Wechselzone, in der fürsorgliche Freiwillige einen Betreuungsservice boten, von dem man nur träumen kann, liess ich mir, im Vertrauen auf meine radfahrerischen Qualitäten, alle Zeit der Welt. Der Start mit meinem Mietrad lief ordentlich. Der schwache Wind kam schräg von hinten. Manchmal von der Seite und nur selten leicht von vorne. Die Strecke auf dem Queen K.Highway verläuft hügelig. Ein ständiges Auf und Ab, bei dem weder Ruhe, noch Rhythmus zustande kommen kann. Weiter draussen, zwischen unendlichen Lavafeldern, beginnen Hitze und Einsamkeit an den Reserven, wenn man dann welche hat, zu nagen. Das innere und sehr stille Versprechen auf eine gute Radfahrt begann zu bröckeln. Die Bedingungen waren mittelprächtig, die Geschwindigkeit lag eher darunter. Kurz vor der Wende in Hawi begann der Wind sein Spiel zu spielen. Bald kam er von der einen Seite, bald von der andern, nur sanft war er jetzt nicht mehr und wenige Meilen nach der Wende blies er nur noch von vorne. Ich fühlte mich kraftlos und frustriert. Die Rechnerei, wie  viele Meilen, umgerechnet in Kilometer, wie viel Durchschnitt ergeben, wie weit es noch sein wird, wie viel Zeit mir noch bleibt und bei welcher Geschwindigkeit ich fahren muss um auch dieses Teilziel innerhalb des Limits zu erreichen, wurde zu einem unlösbaren Problem. Bald hatte ich das Gefühl mir bliebe alle Zeit der Welt, bald rechnete ich aus, dass ich es auf keinen Fall mehr schaffen würde.
Ich hatte es letztendlich doch geschafft, und es hatte auch mich geschafft. Ziemlich entkräftet stieg ich vom Rad und merkte schon bei den allerersten Schritten, dass sich meine Beine einem zügigen Schritt verweigerten. Ich musste gehen. Hoffte, dass ich die Umstellung vom Pedalieren aufs Laufen bald geschafft hätte und dann einen vernünftigen Rhythmus finden könnte. Ich fand ihn aber nicht. Jeder Versuch in ein Laufen über zu gehen, endete nach einem plumpen Nachvornestemmen, so als ob ich eine Wand wegschieben müsste, in einem verkrampften Wanderstil. Nach einem weiten Bogen, in dem eine giftige Steigung das ihrige zur ausweglosen Lage beitrug, ging es auf den berühmten Ali´i Drive. Ich zwang mich nun einfach zum Laufen, stemmte Bein vor Bein und scherte mich einen Dreck um das Aussehen meines Laufstiles, wenn denn so einer überhaupt als solcher zu erkennen gewesen sein soolte. Nach zehm Meilen, fühlte ich mich endgültig am Ende meiner Kräfte. Ich versuchte den Gedanken, dass mich jetzt nur noch ein Wunder retten könne, mit der Wut der Verzweiflung, wegzufegen. Ich ging ein paar Schritte, lief, beinahe torkelnd ein paar hundert Meter, stemmte mich in das Dunkel einer Tropennacht hinein und merkte plötzlich, dass ich nicht mehr schwitzte. Beim Ankommen.an der nächsten Verpflegungsstelle hielt ich an und schluckte alles, was ich in mich hinein bringen konnte. Es war schon tiefe Nacht, als ich das kleine Strässchen zum Energy Lab hinunter watschelte. Bergab konnte ich wieder etwas laufen, und das war auch gut so, denn bei der Wendemarke war jetzt so viel Licht, dass ich das Zifferblatt meiner Uhr erkennen konnte. Es sollte reichen. Ich kam sogar in ein langsames, aber stetiges Laufen. Vorbei an etlichen Gehern, Hinkern, Torklern und einige Meilen weiter Richtung Kona, konnte ich mir ausrechnen, dass ich mit genügend Zeitreserve die Ziellinie überqueren würde und die, die mir jetzt entgegenkamen mit dem Mut der Verzweiflung gegen das Unmögliche ankämpften.
Es muss so gegen halb elf gewesen sein. „Only one mile left“ rief eine Frau aus dem Dunkel. In der Zwischenzeit ging ein warmer Tropenregen nieder. Die Strasse hinunter zum Zieleinlauf reflektierte bunte Lichter, die Lautsprecherstimme aus dem Zielbereich verkündete immer wieder den einen Satz: You are an Ironman!“ Ein Satz, der Tote zum Leben erweckt. Ich lief schneller als je auf der Marathonstrecke, kam dem Ziel des Wettkampfes und dem meiner Träume immer näher. Ein unbeschreibliches Gefühl durchflutete meinen Körper, ich könnte springen, sprinten, tanzen, ich könnte ohne weiteres einen Salto rückwärts, vorwärts und zur Seite vollführen, mein Lächeln war kein gequältes, es war echt und dennoch unfähig das Glücksgefühl auch nur ansatzweise auszudrücken. Ich überquerte die Ziellinie und dieser Moment brannte sich für den Rest meines Lebens in mein Gedächtnis ein.
Ich will nicht behaupten, dass man alles erreichen kann, wenn man nur fest an sich glaubt. Es braucht auch Glück, wie in meinem Fall, aber der Glaube an sich selber hilft bestimmt auf dem Weg dahin.


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